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Medialer Lynchmob

Foto: Uwe Mommert, 2014

Nennen sie mich einen Idealisten. Von mir aus auch Gutmensch. Ich bin trotzdem nicht bereit, mediale Hetzjagden auf Personen als einen sinnvollen Bestandteil des demokratischen Meinungsbildungsprozesses zu akzeptieren. Ja, auch mich nerven ausgefallene Bahnverbindungen und Bundespräsidenten, die eine zu starke Verstrickung mit den Reichen und Schönen dieser Republik vorweisen. Trotzdem: Es geht in all diesen Diskussionen um Sachverhalte und nicht um einen medialen Lynchmob.

Es scheint ein medialer Reflex geworden zu sein, die kochende Volksseele durch launige Berichterstattung anzustacheln und faktenfrei die Persönlichkeiten hinter einem gesellschaftlichen Konflikt durch den Dreck zu ziehen. Die Veröffentlichung von Telefonnummern oder gar von Wohnadressen mit Hausfotos können nur zu destruktivem, ja vielleicht sogar irreparablem, Verhalten führen. Kann Focus online wirklich die Verantwortung dafür übernehmen, wenn verirrte, aufgestachelte Menschen der Familie von Gewerkschaftsboss Weselsky auf die Pelle rücken? Was denkt ein Redakteur dabei, wenn er solche Informationen veröffentlicht? Stellen wir uns den Fall anders herum vor: Ein Journalist wird bestochen und veröffentlicht Fehlinformationen über einen Sachverhalt. Es kommt raus und prompt wird seine Adresse mit Foto des Hauses veröffentlicht. Welche Reaktion dürfen wir von seinen Kollegen erwarten?

Sicher, es ist Ironie, Weselsky als „Bahnsinnigen“ zu bezeichnen. Diskussionen sollten nicht bierernst und humorfrei geführt werden. Ist es aber so schwer für die schreibende Zunft, die rote Linie zu entdecken, die man überschreitet, wenn man zum Stalking oder Schlimmeren anstiftet? Ich denke nicht. Die Gier nach Auflage und Aufmerksamkeit darf nicht blind machen für einen menschenwürdigen Umgang, auch mit Querulanten. Das wäre langfristig noch viel schlimmer als streikende Lokführer.

Über den Autor: Uwe Mommert ist Vorstand für Vertrieb und Produktion der Landau Media AG. Darüber hinaus ist er begeisterter Web 2.0-Fan und immer an innovativen Ideen interessiert. Für medienrot.de kommentiert Uwe Mommert regelmäßig das Mediengeschehen.

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