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Europawahl 2014 – Kommen die kleinen Parteien ganz groß raus?

Mit dem Wegfall der Sperrklausel bei der Europawahl steigen die Chancen für kleine Parteien, ins Parlament einzuziehen. Doch während die europäischen Sozialdemokraten, die Konservativen und Linken ihre Spitzenkandidaten massenmedial inszenieren und mit viel Trommelwirbel um die Aufmerksamkeit der Wähler buhlen, wird innerhalb der kleinen Parteien noch immer um klare Positionierungen gerungen.

Landau Media hat in den vergangenen Wochen die Medienberichterstattung von über 19 deutschen kleinen Parteien, die auf einen Sitz im Europaparlament hoffen, unter die Lupe genommen und dabei untersucht:

• Welche Wahlkampfthemen der „Kleinen“ finden in den Medien Aufmerksamkeit?
• Top oder Flop: Geben die Medien eine Prognose über einen Einzug in das Parlament ab?
• Mit welchen Aktionen und Anlässen schaffen es die kleinen Parteien in die Medien?

In insgesamt 3.382 Artikeln mit einer Gesamtreichweite von 120.607.780 Lesern wurden die kleineren Parteien thematisiert. Dabei wurden die unterschiedlichen Parteien 4.629 Mal genannt.

Keine wirkliche Überraschung: Die meisten Nennungen konnte die Partei „Alternative für Deutschland – AfD“ (2.396 Artikel, 51,76 %) verzeichnen. Auf Platz zwei der meistgenannten „Kleinen“: die „Bürgerbewegung pro NRW“ (593 Artikel), obwohl diese zum ersten Mal für das Europaparlament kandidiert. Noch vor den Piraten mit 328 Artikeln landet die NPD mit 337 Artikel auf Rang drei.

Top 10 Parteien

Kampagnentheater statt Inhalte

Wahlslogans, Plakate, Wahlkampfstände und markige Statements – die fünf meistgenannten kleinen Parteien wurden vorrangig in Zusammenhang mit ihrer Wahlkampfkampagne erwähnt. Inhalte? Fehlanzeige. Viel Medienberichterstattung in Wahlkampfzeiten bedeutet eben nicht zwangsläufig, dass die inhaltlichen Positionen beleuchtet werden. So kann zwar die AfD die meisten Erwähnungen für sich verbuchen (in 2.396 Beiträgen, Reichweite von 86.803.789), berichtet wird jedoch in erster Linie über die Wahlkampagne (28% der Veröffentlichungen über die AfD). Ein Europawahlplakat des Wolfsburger Kreisverbandes der AfD, das die EU mit der Diktatur in Nordkorea vergleicht, sorgt für einen Sturm der Entrüstung in den Medien. Während die AfD das Motiv mit Kim Jong Un eifrig verteidigte, sprechen SPD und Grüne von einer „geistigen Verwirrung erschreckenden Ausmaßes“ – und heizten damit die Diskussion in den Medien weiter an.

 

Der AfD ist es jedoch sehr gut gelungen, auf diese Weise ihre Botschaften abzusetzen. In 98 % der Artikel wurde das AfD-Wahlkampfthema „Kritik am EU-System und mehr Staatssouveränität“ aufgegriffen.

Darüber hinaus schaffte es die AfD außerdem, ihre Themen „EU-Schuldenkrise“ und „Einwanderungspolitik“ zu platzieren. Auffallend häufig wird die AfD mit ihren Wahlkampfauftritten und der Beteiligung an Diskussionsrunden in den Medien genannt. Protestaktionen und Angriffe von linken Gruppierungen gegenüber AfD-Wahlkämpfern und Politikern, aber auch Saalverweise für Journalisten seitens der Partei sind häufig die Aufhänger.

artikelaufhänger Eurowahl

AfD – und sonst?

Schon die zweitplatzierte „Bürgerbewegung pro NRW“ schafft es trotz einer beachtlichen Präsenz (593 Artikel, Reichweite von 20.069.022) nicht mehr, ihre Wahlkampfthemen zu transportieren. Über die rechte Partei und deren Wahlwerbespot (Screenshot: twitter.com) wird zwar berichtet (56 % der Beiträge), doch die Inhalte und Themen der „Bürgerbewegung pro NRW“ fallen dabei unter den Tisch. Ohne ihren umstrittenen und mittlerweile zensierten Wahlspot hätte also die „Bürgerbewegung pro NRW“ kaum Aufmerksamkeit erreicht. (Der zensierte Spot auf youtube.com)

Selbst die „Nationaldemokratische Partei Deutschlands – NPD“, die in 337 Artikel (Reichweite 10.425.750) genannt wurde, kann ihre Inhalte den Medien nicht schmackhaft machen. Auch hier ist selten eine inhaltliche Berichterstattung über die Wahlkampfthemen der Partei vorzufinden. Selbst die klassischen NPD-Themen, wie Ausländer- und Asylpolitik, finden kaum Beachtung. Immerhin wird die NPD in 20 % der Artikel, in denen sie genannt wird, im Zusammenhang mit einem Rechtsruck in Europa erwähnt, und mit anderen rechtsextremen oder rechtspopulistischen Parteien europäischer Mitgliedsstaaten verglichen. NPD-Köpfe im Wahlkampf werden in 12 % der Artikel aufgegriffen – verglichen mit allen anderen beobachteten Parteien ist das der prozentual höchste Anteil.

Nach der AfD dreht sich das mediale Kandidatenkarussell für die NPD am intensivsten. Mit der „Peniskuchenaffäre“ rund um den NPD-Generalsekretärs Peter Marx, der sein Amt aufgrund anhaltender Diskussionen rund um anzügliche Internet-Bilder mit einem Geburtstagskuchen in Penisform niederlegte, sorgt die NPD für Schlagzeilen. Parteiinterne Querelen und Grabenkämpfe sorgen auch in den Medienbeiträgen dafür, dass der NPD nur geringe Erfolgsaussichten bei der Europawahl eingeräumt werden. Der Einzug ins Parlament ist nach Einschätzung der Medien in diesen Artikeln unwahrscheinlich.

Die netzaffinen Piraten, bei den letzten Wahlen stark in den Medien vertreten, sind entgegen der Erwartungen unauffällig in der Berichterstattung (in 328 Artikeln mit einer Reichweite von 10.965.445). Ihre Themen und Botschaften im Europawahlkampf konnten sie jedoch rüberbringen. Der Datenschutz (27% der medialen Präsenz) steht weiter ganz oben auf der Themenagenda der Piraten, getoppt wird er jedoch von den Themen Asylpolitik und Flüchtlinge (35% der Veröffentlichungen über die Piraten).
Obgleich die Wahlkampagne (in 13% der Artikel mit der Nennung der Piraten) wenig Beachtung in den Medien findet, wird den Piraten ein erfolgreicher Einzug in das Europaparlament durchaus zugetraut.

Kleinere Parteien im Europawahlkampf, die ihre Positionen ohne Skandale, Querelen und internen Auseinandersetzungen an den Mann bringen wollen, scheitern in der Medienberichterstattung kläglich. Als „exotische Gruppierungen“ (Grevener Zeitung, Münstersche Zeitung 10.04.2014) mit wenig bis gar keinen Erfolgsaussichten auf einen Sitz im neuen EU-Parlament werden von den Medien die „Bayernpartei“ oder die „Ökologisch Demokratische Partei – ÖDP“ abgetan. Immerhin schaffte es „AUF – Die Partei für Arbeit, Umwelt und Familie, Christen für Deutschland“ mit der Aufstellung einer 89-Jährigen und damit der ältesten Kandidatin im Europawahlkampf in die Rubrik „Skurriles“.

Wer schafft den Sprung ins Europaparlament?

Wie sich die Aufhebung der Sperrklausel auf das Wahlergebnis auswirkt, ist ungewiss. Ob und wie stark die kleinen Parteien im Wahlkampf davon profitieren, dazu mutmaßen die Medien in ihrer Wahlberichterstattung hinlänglich. Anders als bei der Bundestagswahl im September letzten Jahres sehen die Medien die AfD ganz klar drin im neuen Parlament. In 499 Artikeln (20,83 % der Erwähnungen) zur AfD wird ein positiver Wahlerfolg vorweggenommen. Die AfD ist jedoch auch die einzig beobachtete Kleinpartei, die in offiziellen Umfragen ausgewiesen wird. Alle anderen fallen unter die Gruppierung „Sonstige“. Als Spitzenreiter in der Berichterstattung mit den meisten Erwähnungen geht die „Alternative für Deutschland“ in jedem Fall aus diesem Wahlkampf hervor. Skandale, populistische Statements und streitbare Themen haben nicht unwesentlich dazu beigetragen. Bis zum Wahlsonntag am 25. Mai bleibt der Blick auf die Medienberichterstattung spannend.

Foto Winkler_kleinÜber den Autor: Thomas Friedrich Winkler studiert im sechsten Fachsemester Medien- und Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt „Praxisfelder der Medienkommunikation“ an der Eberhard Karls Universität in Tübingen. Sein Interesse gilt empirischen Forschungen zur Nutzung und Wirkung von Massenmedien in Deutschland. Derzeit ist er im Rahmen seiner Examensarbeit im Bereich Medienanalysen für Landau Media tätig.

Untersuchte kleine Parteien

(Auswahl: Derzeit nicht im EU-Parlament vertretenen deutschen Parteien)

• Alternative für Deutschland (AfD)
• Freie Wähler (FW)
• Die Republikaner (REP)
• Partei Mensch Umwelt Tierschutz (Tierschutzpartei)
• Die Piraten (Piratenpartei)
• Ökologisch Demokratische Partei (ÖDP)
• Partei Bibeltreuer Christen (PBC)
• Die Partei
• Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD)
• Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD)
• Bürgerbewegung pro NRW (PRO NRW)
• Partei für Soziale Gleichheit, Sektion der Vierten Internationale (PSG)
• Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSO)
• Deutsche Kommunistische Partei (DKP)
• AUF – Partei für Arbeit, Umwelt und Familie, Christen für Deutschland (AUF)
• Christliche Mitte – Für ein Deutschland nach Gottes Geboten (CM)
• Bayernpartei (BP)
• Ab jetzt … Demokratie durch Volksabstimmung (Volksabstimmung)
• Familien-Partei Deutschlands (FAMILIE)