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Debatte: Krisenkommunikation und mediale Berichterstattung zum Germanwings-Absturz

Noch bevor der zweite Flugschreiber überhaupt gefunden und die Ursache des Absturzes des Germanwings-Fluges aufgeklärt ist, häufen sich Schuldzuweisungen, wilde Spekulationen und gefährliche Halbwahrheiten in den Medien. Praktisch aus dem Nichts werden ganze Zeitungsseiten, Sendeminuten und Websites gefüllt. Da sind die kritischen Stimmen nicht weit. Zentrale Aspekte der Bewertung der Krisenkommunikation der Lufthansa sowie der Medienkritik finden Sie zusammengefasst.

Krisenkommunikation

Frank Roselieb, Direktor des Krisennavigator-Instituts für Krisenforschung in Kiel erläutert, was bei der Kommunikation im Fall eines Flugzeugabsturzes wichtig ist: Ein Victim-Care-Team sollte sich um die Angehörigen am Flughafen kümmern. Ein Go-Team begibt sich schnellstmöglich zur Unglücksstelle , um dort den Dialog mit Hinterbliebenen und MedienvertreterInnen zu führen. Schlussendlich gibt es noch ein Team, das sich um die vertrauensbildende Kommunikation für die Marke kümmert.

Gegenüber dem Handelsblatt resümiert Roselieb: „Lufthansa hat sehr professionell reagiert.“ Logos in Trauerfarben, Schaltung der Notfall-Hotlines, offizielle Stellungnahme und die Veröffentlichung – ausschließlich bestätigter – Informationen. Germanwings und der Mutterkonzern Lufthansa reagierten zügig auf allen unternehmenseigenen Kommunikationskanälen.

Rainer Hank nennt das Verhalten des Lufthansa-Chefs Carsten Spohr ein „[p]erfektes Zusammenspiel von Authentizität und Professionalität“.

Benjamin Knöfler hingegen sieht die Krisenkommunikation der Lufthansa auch kritisch. Während die Krisenarbeit anfangs noch „einen recht ordentlichen Eindruck“ machte, bezeichnet er das Einstimmen des Konzerns in die Vorverurteilung des Co-Piloten als „Verlust des Anstandes“. „Der Co-Pilot ist ein Mitarbeiter von Germanwings und nach geltendem Recht steht auch ihm die ‚Unschuldsvermutung‘ zu“, so Knöfler weiter. Diese Unschuldsvermutung ist übrigens auch im Pressekodex festgeschrieben und ist ebenfalls von JournalistInnen zu beachten.

Medienberichterstattung

Im Zentrum der Kritik steht einmal mehr die BILD-Zeitung. Mit dieser Begründung veröffentlichte die Zeitung den vollständigen Namen und unverpixelte Bilder des Co-Piloten:

Warum BILD das Bild von Andreas Lubitz zeigtIn den sozialen Medien, auf Facebook und auf Twitter, aber auch in den… Posted by Bild on Freitag, 27. März 2015



BamS-Chefin Marion Horn verteidigt die Berichterstattung.

Andy Neumann ist Vorsitzender des Bundes deutscher Kriminalbeamter. Vergangene Woche schrieb er eine E-Mail an BILD-Chef Kai Dieckmann, in der er die Berichterstattung zum Unglück allgemein und der BILD-Zeitung speziell kritisierte. Das Schreiben veröffentlichte er auch bei Facebook:

Meine Mail von Freitag an Kai Diekmann. Ich hätte ihm wenigstens die Eier zugetraut, zu antworten. Fehlanzeige… So… Posted by Andy Neumann Bdk on Dienstag, 31. März 2015



Damit bringt Neumann das zum Ausdruck, was viele denken. Aktuell weitet sich die Boykott-Kampagne gegen die BILD weiter aus.

Bei der Welt verzichtete man hingegen auf die Nennung des vollen Namens. In einer internen Mail, die MEEDIA vorliegt, erklärt Welt-Chef Jan-Eric Peters seinen Standpunkt dazu.

Während auch die Tagesschau am 27. März 2015 auf ihrer Facebook-Seite zum Ausdruck brachte, warum zu diesem Zeitpunkt auf die Nennung des vollen Namens des Co-Piloten und das Abbilden eines unverpixelten Fotos verzichtet wurde, erklärt der DJV am 30. März 2015, warum eine schärfere Kontrolle der Sender durch die Rundfunkräte, wie Airbus‬-Chef Tom Enders sie fordert, nicht funktionieren kann.

Alois Theisen, HR-Chefredakteur Fernsehen, gesteht Fehler bei der Berichterstattung über den Absturz ein (Audio-Interview, ca. 10 Minuten).

Auch der Deutsche Presserat mahnte die Medien, bei ihren Berichten über den Germanwings-Absturz Respekt vor Opfern und Angehörigen zu bewahren.

Und Heribert Prantl, Innenpolitik-Chef der Süddeutschen und im Ethikrat der Akademie für Publizistik, formuliert in einem Videointerview vier Regeln, „die Journalisten jetzt dringend beachten sollten.“

Über die Autorin:

Nicole Storch ist freiberufliche Autorin für Print und Online. Zuvor betreute sie als Redakteurin beim Egmont Ehapa Verlag zahlreiche Kinder- und Jugendzeitschriften. Während ihres Studiums der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der UdK Berlin arbeitete sie bereits als freie Texterin für verschiedene Agenturen.

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